Innerhalb des Konzepts der Basalen Stimulation® wird großer Wert darauf gelegt, Erkenntnisse der Pränatalpsychologie und der Entwicklungs-physiologie zu integrieren. Der Mensch nimmt schon vorgeburtlich vieles wahr, bewegt sich aktiv und steht in einem unmittelbaren Austausch mit seiner Mutter. Der Mensch ist seit seiner vorgeburtlichen Entwicklung mit bestimmten Fähigkeiten ausgestattet. Dabei handelt es sich um die Fähigkeiten mit dem ganzen Körper wahrzunehmen, sich zu bewegen, die Haut zum Spüren einzusetzen und mit den Händen, den Füßen und vor allem dem Mund primäre Erfahrungen zu sammeln. Durch den unterschiedlichen Kontakt innerhalb der Gebärmutter wird für das ungeborene Kind seine Körperform deutlich spürbar. Wir sprechen von somatischer Erfahrung.

Modell der basalen Wahrnehmung

Schon sehr früh in der Schwangerschaft entwickelt sich das Vermögen, Schwingungen aufzunehmen und darauf zu reagieren. Solche Schwingungen entstehen durch die Stimme der Mutter, durch ihr Gehen, durch ihren Herzschlag, ihr Atem oder durch alle von außerhalb hereindringenden Geräuschen. Wir sprechen von vibratorischer Erfahrung.

Durch Bewegung und Lageveränderung der Mutter erfährt das Ungeborene die Veränderung der Schwerkraft. Wir sprechen von vestibulärer Erfahrung.

Im fortschreitenden Entwicklungsprozess des ungeborenen Kindes entwickeln sich die weiteren Wahrnehmungsfähigkeiten: das Fühlen, das Schmecken und Riechen, das Sehen sowie das Hören mit Körper und Ohren.

Besonders der somatische, der vestibuläre und der vibratorische Wahrnehmungsbereich bilden die Grundlage unseres Urvertrauens. Die Maßnahmen das Tröstens und Beschützens durch andere Menschen sind durch die Nutzung dieser drei Wahrnehmungsbereiche gekennzeichnet (vgl. Bienstein/Fröhlich 2017, S. 45).

Grundelemente

Somatische Wahrnehmung

Der Körper, und mit ihm die Haut als größtes Organ, bildet eine natürliche Grenze zu der ihn umgebenden Umwelt. Die Haut bildet zugleich die Kontaktfläche zur Außenwelt. Entsprechend den Erfahrungen der Haut und Muskeln, entwickelt der Mensch ein eigenes Körperbild. Durch eine somatische Anregung soll eine positive Erfahrung mit dem eigenen Körper über die Grenz- und Kontaktstellen zur Welt gemacht werden (vgl. Bienstein/Fröhlich 2017, S. 51ff).

Vibratorische Wahrnehmung

Menschliches Leben zeichnet sich durch Erfahrungen von Vibrationseffekten auf den Körper aus. Vibrationserfahrungen werden bereits im Mutterleib gemacht, später durch krabbeln, hüpfen, rennen, indem Schwingungen und unterschiedliche Belastungen erfahrbar werden. Vibrationen erzeugen ein Gefühl für den eigenen Körper, für die Körpertiefe, außerdem erregen sie die Aufmerksamkeit und können anregend oder beruhigend wirken (vgl. Bienstein/Fröhlich 2017, S. 66ff).

Vestibuläre Wahrnehmung

Das Vestibulärsystem informiert über Lage im Raum, über Beschleunigung, Drehung, Auf und Ab, sichert das Gleichgewicht und koordiniert das Sehen. Vestibuläre Anregung ist nur über Bewegung möglich. Wenn die Position im Raum nicht mehr verändert werden kann, wird der Raum zweidimensional. Durch eine vestibuläre Anregung, wie ein sanftes Schaukeln, kann die Haltung eines Menschen stabilisiert und der Muskeltonus normalisiert werden (vgl. Bienstein/Fröhlich 2017, S. 68ff).

Aufbauelemente

Orale und olfaktorische Wahrnehmung

Der Mund des Menschen bietet den intensivsten Erfahrungsraum. Nach der Geburt ist das Kind sofort in der Lage, zu saugen und damit die orale Nahrungszufuhr einzuleiten. Der Mund dient aber nicht nur der Nahrungsaufnahme, sondern nimmt als „Kommunikationsmedium“ eine zentrale Bedeutung ein. Der Mensch teilt sich durch Sprache und Mimik mit. Darüber hinaus ist der Mund auch Berührungs- und Lustorgan. Die Mundregion mit der Zunge ist hoch empfindlich und besonders wahrnehmungsstark. Kein Körperteil erfüllt so viele bedeutende Funktionen wie der Mund. Je mehr gezielte Aktivitäten im Mundbereich zu beobachten sind, umso wacher ist der Mensch.

Gustatorische Wahrnehmung: Die Zunge hat die Möglichkeit, aufgrund ihrer Geschmackssensoren und in Kombination mit dem Riechnerv, unterschiedliche Geschmacksrichtungen und Konsistenzen zu erfassen.

Olfaktorische Wahrnehmung: Das Riechen dient primär der frühzeitigen Erkennung und der Wahrnehmung von Riech- und Duftstoffen durch die Riechschleimhaut in der Nase. Es greift dem Schmecken voraus und kann sowohl eine warnende wie lustbetonende Funktion wahrnehmen. Der Riechnerv ist direkt mit dem Limbischen System verbunden, welches die Hauptverantwortung für die Bildung assoziativer Gefühle trägt. Jeder Mensch verfügt über eine eigene „Riechbiografie“, deren Aktivierung von außen nicht verhindert werden kann. Erlebte Riecherfahrungen werden Situationen zugeordnet, die positiv, neutral oder negativ besetzt sind (vgl. Bienstein/Fröhlich 2017, S. 75ff).

Taktil-haptische Wahrnehmung

Es ist wichtig, Menschen an Dinge heranzuführen und nicht die Dinge an den Menschen. Objekte wiederzuerkennen bedarf keiner Mühe, wir haben von den Objekten in unserer Welt „Greifbilder“. Das Umfassen eines Gegenstandes oder einer Person spielt dabei eine wesentliche Rolle. Die taktile Wahrnehmung arbeitet mit Greiferfahrung und Greifbildern. Der aktive Umgang mit den Händen ist erforderlich.

Zur taktilen Abwehr kommt es häufig bei unklaren, punktuellen, flüchtigen Berührungen. Diese sind nicht zuordenbar. Deshalb ist es wichtig, dass klare, eindeutige Informationen gegeben werden. Die Erinnerung an die Fähigkeit der Hände soll wachgerufen werden. Die Hände möchten etwas spüren und über das Spüren einen Beitrag zum Erhalt des aktuellen Körperbildes beitragen (vgl. Bienstein/Fröhlich 2017, S. 83ff).

Audiorhythmische und auditive Wahrnehmung

Ein Leben ohne auditive Anregung ist kaum denkbar. Beim Hören kommt es darauf an, eine bestimmte Abfolge von auditiven Reizen als eine Einheit zu erkennen. Dies ist eine komplexe und schwierige Aufgabe, die durch Störungen der Gesamtbefindlichkeit sehr leicht irritiert wird. Menschen klagen in einer für sie fremden und ungewohnten Umgebung über die verwirrende Vielfalt von unerklärlichen Geräuschen. Die Vielfalt der auditiven Reize muss reduziert und die Hörangebote eindeutig gemacht werden. Die sprachliche Vermittlung von Inhalten muss eindeutig und klar sein und immer wieder im gleichen Kontext angeboten werden. Besonders rhythmische akustische Reize erregen eine gewisse Aufmerksamkeit (vgl. Bienstein/Fröhlich 2017, S. 72ff).

Sehen oder visuelle Wahrnehmung

Sehen ist unsere bewussteste Art wahrzunehmen. Über das Sehen verschaffen wir uns eine Fülle von wichtigen Informationen in allen Lebenssituationen. Sehen ist eine effiziente Wahrnehmungsart, auch über große Entfernungen. Sehen funktioniert in der Regel außerordentlich schnell und differenziert.

Veränderung und Bewegung ist die Grundlage für die optische Wahrnehmung von Information, ohne Bewegung und Veränderung erlischt die Wahrnehmung.

Bei einer überwältigenden Reizfülle reduziert der Mensch seine Wahrnehmungs-aktivitäten, um sich zu schützen. Halluzinationen können ein Hinweis auf mangelnde Stimulation sein. Die Monotonie, d.h. das lange Starren auf eine weiße Wand, regt die Produktion „innerer Bilder“ an, die sich als scheinbare Wirklichkeit ins Bewusstsein schieben. Es geht darum, visuelle Nähe zu schaffen, die an Vertrautes anknüpft (vgl. Bienstein/Fröhlich 2017, S. 78ff).

Literatur:

Bienstein, Christel/Fröhlich, Andreas (2017): Basale Stimulation® in der Pflege. Die Grundlagen. 8. Aufl., Bern: Hogrefe Verlag.

© Silvia Maier